Milad, 25
Afghaner:innen erleben im Iran bis heute eine starke Benachteiligung – selbst bei den alltäglichsten Dingen. Für seine Freiheit und die Hoffnung auf ein besseres Leben machte sich Milad 2009, mit gerade einmal elf Jahren, auf den Weg vom Iran in die Schweiz.
Wieso hast Du Dich entschieden, fortzugehen?
Im Iran sind Afghaner:innen sehr benachteiligt und da ich bei meinem Onkel aufgewachsen bin, hat er sich entschieden, dass ich den Iran verlassen sollte. Er sah, dass ich keine Zukunft im Iran habe – wie alle anderen Afghaner:innen, die dort leben oder gelebt haben. Er wollte, dass ich nach Deutschland gehe, da seine Verwandten dort leben. Damit ich vielleicht ein besseres Leben haben könnte, als ich es im Iran hatte.
Kannst Du Dich noch an den Tag erinnern, an dem Du fortgegangen bist?
Ja, an den Tag kann ich mich sehr gut erinnern. Es war ziemlich warm und ich war sehr verwirrt, weil ich nicht wusste, was alles auf mich zukommen wird. Ich wusste nicht, mit wem ich mitgehen werde, wohin ich genau gehen werde, wie und mit was ich gehen werde. Ich war zuvor noch nie weg von meiner Familie und von heute auf morgen hat er mir gesagt, dass ich heute Abend losfahren soll.
Ich habe versucht zu weinen, weil ich sie verlassen werde, aber auf der anderen Seite hatte ich Freude, dass ich ein besseres Leben haben könnte. In diesem Alter konnte ich noch gar nicht verstehen oder voraus sehen, was alles auf mich zukommen wird.
Kannst Du Dich noch an den Tag erinnern, an dem Du fortgegangen bist?
Wie bist Du in die Schweiz gekommen und was hast Du mitgebracht?
An diesem Abend, als ich von meiner Familie Abschied genommen habe, hatte ich einen kleinen Rucksack mit ein paar Lebensmitteln für den Notfall dabei, falls ich irgendwo einmal nichts zu Essen haben sollte. Was ich sonst noch dabei hatte, war eine Weltkarte, bei der ich ganz Europa ausgeschnitten und foliert hatte, weil ich Angst hatte, dass sie nass werden könnte. Auch dabei hatte ich ein feines Parfum und ein paar wenige Kleider. Ich habe immer geschaut, wo ich bin, in welchem Land und wie lange ich noch bis nach Deutschland habe.
Als ich in der Schweiz in Basel aus dem Zug genommen wurde, hatte ich immer noch meine Landkarte – was mich sehr freute. Diese Karte hatte ich sogar im Heim aufgehängt, in dem ich war, aber nach einer Weile hatte ich sie dann nicht mehr. Das Parfum habe ich in Italien verloren und sonst hatte ich noch etwas Geld.
Warum hast Du Dich für die Schweiz entschieden?
Eigentlich wollte ich gar nicht in die Schweiz kommen, weil ich die Schweiz gar nicht kannte. Ich wollte unbedingt nach Frankfurt, da ich dort Verwandte habe. Von der Schweiz wusste ich nur, dass sie Geld und Gold haben, sowie andere Dinge, die mich damals gar nicht interessierten. Ich wollte in jedem Fall an einen Ort, wo es Leute gibt, die mich unterstützen und auf mich schauen.
In Mailand kaufte ich mir ein Ticket bis nach Frankfurt, aber in Basel an der Grenze haben sie mich aus dem Zug genommen. Ich war alleine ohne Eltern unterwegs und sie haben gesehen, dass ich in diesem Alter nicht alleine unterwegs sein sollte. Daher haben sie mich aus dem Zug genommen.
Ich wusste zwei Tage lang gar nicht, wo ich bin, weil ich weder Englisch noch Deutsch sprechen konnte. Erst als ich einen Dolmetscher erhalten habe, sagte er mir, dass ich in der Schweiz bin. Ich rief meinen Onkel im Iran an, der wiederum seine Verwandten in Frankfurt kontaktierte. Er erzählte ihnen, dass ich in der Schweiz bin, worauf sie ihm sagten, dass ich hier bleiben soll, weil die Schweiz für mich besser wäre – ein besseres Land als Deutschland. Dadurch habe ich mich nach einer Woche entschieden, dass ich in der Schweiz bleibe. Obwohl ich die Chance hatte, weiter nach Frankfurt reisen zu dürfen. Gott sei Dank habe ich mich so entschieden.
Warum hast Du Dich für die Schweiz entschieden?
Wie waren Deine ersten Eindrücke von der Schweiz als Land?
Da ich im Iran aufgewachsen bin, war ich sehr beeindruckt, wie die Menschen hier gekleidet sind. Ich habe immer verglichen, wie ich die Menschen im Iran gesehen habe und wie sie hier sind, was mich irgendwie irritiert hat. Ich hatte keinen Verstand dazu, um zu verstehen, dass hier die Schweiz ist und dort der Iran – zwei komplett verschiedene Länder mit verschiedenen Religionen.
Auch das schöne Zürich und die schönen Berge, die ich im Iran nie gesehen habe, waren eindrucksvoll für mich. Die Schweiz ist sehr multikulturell. Hier werden sehr viele verschiedene Sprachen gesprochen, was für mich ganz neu war. Ich war überrascht, wie viele andere Sprachen es gibt. Im Iran hörte ich neben dem Persisch höchstens noch etwas Arabisch – sonst keine andere Sprache. Es war spannend zu sehen, aus wie vielen verschiedenen Ländern die Menschen stammen, die in der Schweiz leben.
Norooz – das persische Neujahrsfest, welches mit dem Frühlingsbeginn gefeiert wird, ist für mich eine der schönsten Traditionen im Iran. An Norooz wird ein Tisch, der Haft-Sin, mit bestimmten Elementen gedeckt, die alle mit Sin, dem Buchstaben «S», beginnen. Das Fest dauert 13 Tage und beginnt mit dem genauen Eintritt des Frühlings. Einige Stunden vor dem Jahreswechsels, kommen Familie und Freude zusammen, sie versammeln sich alle mit einer Münze in der Hand vor dem so genannten Gabentisch und hofft auf Glück im neuen Jahr.
Wie haben die Schweizer:innen auf Dich reagiert?
Von Basel schickten sie mich nach Affoltern am Albis in ein Asylheim, in dem ich, um ehrlich zu sein, sehr gut aufgenommen wurde. Es kann sein, weil ich noch sehr jung war. In diesem Dorf habe ich auch in einem Verein Fussball gespielt, wo die Eltern von meinen Fussball-Kollegen auch auf mich geschaut haben und ich es sehr gut mit ihnen hatte. Sie haben geschaut, dass ich nach dem Match jeweils etwas Kleines zu Essen bekomme. Also ehrlich gesagt, wurde ich ziemlich gut von Schweizer:innen aufgenommen.
Wie haben die Schweizer:innen auf Dich reagiert?
Fühlst Du Dich hier zu Hause?
Am Anfang hatte ich ziemlich Mühe, weil ich die Sprache nicht konnte. Ich konnte die Gefühle von anderen Menschen nicht entgegennehmen oder meine Gefühle zeigen, weil die Kommunikation gefehlt hat. Erst nach etwa sechs bis sieben Monaten habe ich einigermassen verstanden, was sie gesprochen haben oder konnte mich ausdrücken und auch meine Gefühle wiedergeben.
Gab es Ereignisse und/oder Personen, die es Dir schwerer oder leichter gemacht haben, Dich in der Schweiz zu Hause zu fühlen?
Ereignisse, die es mir schwerer gemacht haben, kommen mir gerade nicht in den Sinn, aber es gab schon viele Leute, die mein Leben vereinfacht haben. Dazu gehören meine Berater, die ich im Asylheim hatte – sie haben mein Leben viel einfacher gemacht. Daneben habe ich eine Schweizer Freundin, die mein Leben noch einfacher gemacht hat. Sie hat mir alles gezeigt. Sie versuchte mir zu helfen, besser gesagt, sie versucht es immer noch, dass ich ein besseres Leben in der Schweiz habe – mich integrieren kann. Ich bin sehr dankbar dafür, dass sie mir geholfen haben.
Gab es Ereignisse und/oder Personen, die es Dir schwerer oder leichter gemacht haben, Dich in der Schweiz zu Hause zu fühlen?
Hast/Hattest Du mit Vorurteilen zu kämpfen?
Logisch, ich muss immer noch mit Vorurteilen kämpfen. Ein einfaches Beispiel ist mein Aussehen, meine «dunkle» Hautfarbe, die ich habe. Ich werde immer noch ohne Grund von der Polizei kontrolliert und wenn mir Menschen begegnen, dann beginnen sie immer mit mir Hochdeutsch zu sprechen, statt Schweizerdeutsch. Das stört mich zum Teil schon.
Was ist Deine schönste Erinnerung an Deinem Leben hier in der Schweiz?
Was würdest Du heute anders machen, wenn Du jetzt in die Schweiz kommen würdest?
Wenn ich heute in die Schweiz kommen würde, würde ich mich zuerst sehr gut über die Ausbildungsmöglichkeiten in der Schweiz informieren. Zudem würde ich mich stärker mit dem Schweizer Recht befassen und mehr mit Nicht-Afghanern Zeit verbringen, um mich besser integrieren zu können.
Ich würde weniger den Medien hier glauben, wenn sie über mein Heimatland berichten. Es wird entweder gar nicht darüber berichtet, wie es dort ist oder es entspricht nicht der Wahrheit.
Was würdest Du heute anders machen, wenn Du jetzt in die Schweiz kommen würdest?
Copyright © Lisa Spagnoletti