Nadine, 45
Deutschland ist eines unserer direkten Nachbarländer und macht eine der grössten Migrantengruppen in der Schweiz aus. Dennoch erleben die Deutschen bis heute zum Teil massiven Rassismus. Nadine wuchs in der DDR auf und erlebte den Mauerfall 1989 als Kind mit. Nach einem Jahr Fernbeziehung folgte sie ihrem damaligen Partner im Jahr 2008 in die Schweiz. Mit ihr kam auch ihr kleiner Sohn, der keinen einfachen Start in der Schweiz hatte.
Wieso hast Du Dich entschieden, fortzugehen?
Ich hab mich eigentlich gar nicht entschieden, sondern mein damaliger Partner. Ich bin der Liebe wegen in die Schweiz gezogen.
Kannst Du Dich noch an den Tag erinnern, an dem Du fortgegangen bist?
Ja, so ganz präsent ist das nicht mehr. Es ist jetzt 15 Jahre her, aber ich weiss schon, ich bin mit meinem alten VW Polo, der war über 20 Jahre alt in die Schweiz ausgewandert. Mit eben nur das, was in den Polo rein gepasst hat und das war schon ein bisschen, also es war eigentlich wie Urlaub. Wie anders hat man das gar nicht wahrgenommen. Mein Partner hatte schon eine Wohnung in Volkeswil und ich bin ja zu ihm gezogen. Er hatte eine Dreiraumwohnung, das Kind kommt hinterher – ich geh schon vor. Erst als man dann mit Arbeiten anfängt, realisiert man wirklich, dass man nicht mehr in Deutschland lebt. Ich war noch ein Jahr angemeldet in Deutschland, einfach so Plan B, falls es schiefgeht – man weiss es nie. Ich bin da jemand, der da gerne auf der sicheren Seite ist. Ich habe 5 Wochen durchgearbeitet in Deutschland, hab mich danach ins Auto gesetzt, mit 1500€ in der Tasche und bin in die Schweiz.
Ja, eigentlich war das so eine ganz spannende Geschichte. Also ich hatte ja den Job schon, man ist ja da auf der sicheren Seite, aber man geht so in neues Leben rein und guckt mal was passiert. Ist glaube ich, für einen selber, für die Entwicklung auch ganz spannend. Mal loslassen zu können, mal ins Blaue zu gehen und mal gucken, ob man das überhaupt schafft. Ich hab mich nicht Monate, jahrelang darauf vorbereitet – da ist man noch ziemlich unvoreingenommen gewesen. Ich hab mich nicht um Klischees gekümmert in der Schweiz, sondern ich war wegen der Liebe hier und hab gedacht, okay, wir können die ganze Welt erobern. Pinky and the Brain gehe ich in die Schweiz. Das war schon ein schöner Moment, muss ich sagen. Die Schweiz sieht ja auch toll aus, wenn man so bei der Autobahn reinfährt, in Schaffhausen sieht es super aus.
Kannst Du Dich noch an den Tag erinnern, an dem Du fortgegangen bist?
Was hast Du mitgebracht?
Eigentlich nur meine Koffer. Das, was man notfalls braucht, hatte ich mitgebracht. Selbst das Kind habe ich zu Hause gelassen, also selbst ohne Kind bin ich gekommen. Der hatte noch Schulferien und der hat dann hier erst im Oktober gestartet. Er blieb bei meinen Eltern, wo ich auch noch angemeldet war – meinen Hauptwohnsitz hatte.
Er ist dort noch geblieben und im Oktober sind dann die Sachen auch nachgekommen, das Kinderzimmer von meinem Sohn, und dann haben wir uns so langsam eingerichtet.
Welche Erwartungen hattest Du an die Schweiz?
Wie waren Deine ersten Eindrücke von der Schweiz als Land?
Also die erste Zeit fühlte sich an wie Urlaub und das war alles schön, es war sauber. Was ich sehr schön fand, waren diese kleinen Häuschen, also ja, ich komme aus Grossstädten mit Wohnblocks-Szenen-Etagen und wenn man dann hierher kommt, ist doch alles ein bisschen klein. Man wird auch konfrontiert mit vielen Menschen, weil es einfach alles ein bisschen enger ist.
Wir hatten einen grossen Freundeskreis zu dem Zeitpunkt, wo sie mich auch willkommen geheissen haben. Wir waren in der Gartenanlage und das war eigentlich ein schöner Start. Ich glaube es ist sehr positiv gestartet und ist dann zwischendurch aber auch etwas abgefallen – stark abgefallen – wenn man so ein Stück weit die Realität dann kennenlernt. Der erste Schleier sich sozusagen legt, denn sieht man dann hinter die Fassade – ist ein bisschen anders.
In meiner Heimat feiern wir bei der Geburt eines Kindes eine Puller-Party. Familie, Freunde oder auch das ganze Dorf feiern ungezwungen bei einem fröhlichen Beisammensein und stossen auf den Start des Lebens an. Häufig sind die betroffenen Mütter mit dem Baby noch im Spital und erleben ihre eigene Puller-Party nicht mit.
Wie haben die Schweizer:innen auf Dich reagiert?
Also ich muss sagen, mit Schweizerinnen hatte ich eigentlich gar nichts zu tun. Also ich bin eher in eine Männergruppe reingekommen und hatte eher mit vielen Männern zu tun oder Männer, die zum Beispiel asiatische Frauen hatten. Aber jetzt, dass ich so mit Schweizerinnen irgendwie in Kontakt kam, war rein auf Arbeit, dass ich dort dann Schweizerinnen kennengelernt habe. Und ich glaube, da gab es so die ersten Momente, wo man dann merkt, man ist nicht gleich, wo doch ein Kulturunterschied vorherrscht – ich bin noch in der DDR gross geworden. Ich habe noch 12 Jahre DDR miterlebt und wurde natürlich auch noch so erzogen. Das ist schon ein ziemlicher Bruch, wo man doch als ehemalige DDR-Bewohnerin eher ein bisschen extrovertierter ist.
So Emanzipation der Frau gab es schon seit 1960 und wir haben nicht zu Hause die Kinder erzogen, sondern wir sind schon sehr zeitig in Kinderkrippen gewesen. Ich glaube, da waren ziemliche Berührungspunkte, weil viele Frauen hier doch ein Leben lang zu Hause sind. Gerade in meinem Alter ist es noch sehr fortschreitend gewesen, dass die Frauen noch hinterm Herd gestanden haben, und dadurch hatte ich auch noch, auch vor 15 Jahren, gar nicht so viel Berührung mit Frauen. Mit ganz jungen Mädels schon, aber da passt natürlich das Matching gar nicht. Die waren mir dann zu jung. Ansonsten bin ich fast ausschliesslich, auch durch meine Branche, wo ich arbeite mit Deutschen in Kontakt gewesen oder eben mit Schweizer Männern.
Wie haben die Schweizer:innen auf Dich reagiert?
Fühlst Du Dich hier zu Hause?
Ich kann das gar nicht eindeutig beantworten. Das ist immer so phasenweise, muss ich sagen. Manchmal ja, es gibt aber auch oder es gab in der Vergangenheit öfter mal Phasen, wo man gesagt hat, nein ich bin immer noch nicht angekommen.
Hast/Hattest Du mit Vorurteilen zu kämpfen?
Ich bin hierhergekommen, völlig ohne Vorurteile. Ich wusste gar nicht, was mich erwartet, weil das Einzige, was man immer im Fernsehen sieht, ist Zürich in irgendwelchen Filmen, wenn es ums Geld geht. Aber du siehst nichts anderes und was soll man da mit Vorurteilen hierherkommen? Und so geht man hierher und dann wird man mit so vielen Vorurteilen konfrontiert.
Ich hatte auch ein Erlebnis, das man mir gesagt hatte, ich müsse Schweizerdeutsch sprechen, damit man mich ernst nimmt und wo ich dann auch denke, ich muss mich doch eigentlich nur so ausdrücken, dass wir uns verstehen. Das ist doch egal auf welcher Sprache und wenn es Englisch ist, wenn wir nicht mehr mit Händen und Füssen weiterkommen. Es geht doch eigentlich darum, dass wir zusammenarbeiten können, dass wir zusammenleben können, dass wir zusammen Spass haben können. Da geht es doch nicht per se darum, dass ich jetzt die gleiche Sprache spreche. Es gibt Vorurteile, wenn man darüber nachdenkt, die entstehen einfach aus solchen Situationen heraus.
Ich hatte ein Erlebnis in Konstanz, wo ich mich geschämt habe Deutsche zu sein, mit dem Unterschied, ich habe es angesprochen. Und zwar habe ich im Bäcker einen Deutschen erlebt, aus Hamburg, und der sagt genau den Satz, den man mir vorgeworfen hatte, den ich vorher noch nie gehört hab: ich krieg nen Kaffee.
Das gibt es in meiner Region nicht. In Berlin sagt man das nicht, sondern ich hätte gern einen Kaffee oder einen Kaffee bitte. Und dann hat man mir gesagt, ja die sch**** Deutschen, die sagen immer, ich krieg nen Kaffee und dann habe ich das, das erste Mal beim Bäcker in Konstanz gehört. Dann habe ich den angesprochen, was das soll, bitte hinterher kann man schon noch sagen. Aber warum nicht ehrlich sein? Warum dann nicht die Leute direkt ansprechen? Ich mache das und mir wurde dann auch schon vorgeworfen, ob ich ein Problem mit Deutschen habe. Deswegen muss ich sagen, ja ich bin nicht Fisch, nicht Fleisch. Ich bin nicht Schweizer, ich bin aber auch nicht mehr reine Deutsche, weil ich gewisse Vorurteile verstehe – mittlerweile. Aber man kann nur was dran ändern, wenn man offen dem begegnet und nicht hinterm Rücken sich dann aufregt, sondern einfach ins Gesicht sagen: du das ist auf Deutsch gesagt sch*****, dann hat der andere die Möglichkeit das zu ändern.
Was ist Deine schönste Erinnerung an Deinem Leben hier in der Schweiz?
Was würdest Du heute anders machen, wenn Du jetzt in die Schweiz kommen würdest?
Ou, das ist eine ganz schwierige Frage, weil du müsstest ja mit dem Wissen von jetzt hierherkommen. Ich glaube, wenn ich genauso wie damals, so unbedarft hierher käme, würde ich nichts anders machen. Aber wenn ich das Wissen jetzt hätte, von den 15 Jahren, wo ich schon hier bin, würde ich sicherlich ein paar Dinge anders machen.
Ich würde vielleicht nicht unbedingt in Zürich starten. Ich würde vielleicht doch eher in ländlicheren Gegenden gehen, wo die Konzentration etwas geringer ist – Ausländern gegenüber. Und vielleicht würde ich mich ein bisschen mehr damit auseinandersetzen im Vorfeld. Um das man sich nicht jedes Fettnäpfchen sucht, wo man reinspringt mit voller Karacho und was einem dann so ein bisschen negativ ausgelegt wird. Ich glaube, das würde schon helfen.
Copyright © Lisa Spagnoletti